Pferdezucht in Ungarn

Pferdezüchterisch hat Ungarn, als wichtigstes Land Süd-Ost-Mitteleuropas, seit jeher das größte Interesse erregt. Bis in die jüngste Vergangenheit ist die dortige Entwicklung beispielhaft für die gesamte Region. 
Die Pferdezucht hatte seit jeher bis zum Einsetzen der totalen Motorisierung von Landwirtschaft und Verkehr sowie Armee eine große Bedeutung für die ungarische Volkswirtschaft. Während der Doppelmonarchie war Ungarn der größte Pferdelieferant des Reiches, hier lagen seine wichtigsten Zuchtzentren.

Das erste organisierte Gestüt Ungarns wurde 857 durch den Auftrag von Árpád auf einer Insel im heutigen Budapest eingemeidetem Land gegründet. Die Insel Csepel  bekam ihren Namen durch den Unterhäuptling Csepel. Dort wurden die edelsten, mit persischem und turkmenischem Blut veredelten, Pferde zu Zuchtzwecken gesammelt. Die Pferde betrugen ein Stockmaß von 130-140 cm.

Árpád

Mitte des 17. Jahrhunderts ließ Joseph II die ungarischen Staatsgestüte Mezöhegyes, Bábolna und Radautz (zunächst in Wazskonz) errichten. Die ungarische Pferdezucht verdankt Joseph II einiges. Außer den Gestütsgründungen verfügte er zahlreiche äußerst wichtige Maßnahmen und Reformen zu ihrer Förderung, wie Hengst- und Stutenprämierungen, Einrichtung von Hengst- und Remontedepots, staatliche Deckstationen, Importe wertvollen Zuchtmaterial etc. 
In den Jahrzehnten von 1780 bis 1790 wurden etwa 500 Zuchthengste aus dem Ausland importiert. Sein Berater dabei, zugleich erster Planer und erster Gestütsleiter von Mezöhegyes (1784-1806) und Bábolna (1789-1806), war der damals noch recht junge Rittmeister und späterer General József Csekonics (1757-1824).

Joseph II

Die lange Zeit wichtigste der im Gestüt Mezöhegyes geschaffenen Kulturrassen ist der Nonius. Sie wurde begründet mit dem in der Normandie (Calvados) gezogenen Anglo-Normänner-Hengst Nonius Senior, der österreichischer Kurassiere 1815 im Gestüt Rosières aux Salines erbeutete. So ist diese Rasse letztlich dem Sieg der Alliierten über Napoleon zu verdanken. 

Die ungarische Lipizzanerzucht begann 1809, als das Stammgestüt Lipica aus dem Karst vor den Truppen Napoleons flüchten musste und nach dem ungarischen Gestüt Mezöhegyes evakuiert wurde. Als die Pferde 1815 nach Lipiza zurückkehrten, blieb ein Teil des Bestandes in Mezöhegyes und bildete den Grundstock einer eigenen ungarischen Lipizzanerzucht, die dort bis 1873 bestand. Damals wurden 71 reinblütige Lipizzanerstuten nach Fogaras in Siebenbürgen überstellt, wo mit der Blutlinie Conversano, Favory, Incitato, Maestoso, Neapolitano, Pluto und Siglavy Capriola gezüchtet wurde. 

1853 wurde das Staatsgestüt Kisbér gegründet, in dem Vollblut und hochklassiges edles Halbblut gezüchtet werden sollte. 

1913, ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, kam das ungarische Lippizzaner-Gestüt nach Bábolna. Jedoch war das dortige Klima der Gebirgsrasse abträglich. Deshalb entschloß man sich, nach dem Zweiten Weltkrieg die Lipizzanerzucht nach Szilvásvárad im Bükkgebirge zu verlegen. Die Umsiedlung begann 1952 mit zunächst 30 Stutfohlen. Seit 1961 befindet sich das gesamte Gestüt dort.

Die Pferdezucht durchlief nach dem Zweiten Weltkrieg eine schwere Zeit. Das Interesse des Landwirtschaftsministeriums an ihr war von Anfang an gering. Das System stand den Pferden eher negativ gegenüber, da diese Betriebsmittel den Kollektivierungsbestrebungen entgegenstand: Solange der Bauer ein Pferd sein Eigen nannte, fühlte er sich selbständig. Durch die mit Macht vorangetriebene Motorisierung aller Transportwesen und vor allem der Landwirtschaft kam es zu einem starken Rückgang der Pferdezahlen.
In einem allgemein radikalen Reformprozess des ungarischen Gestütswesens in den Jahren 1961/62 wurde den Zuchten schwerster Schaden zugefügt und die traditionellen Rassen teilweise so stark reduziert, dass ihr Weiterbestehen heute ernstlich gefährdet scheint.
Der Solzialismus bestimmte die ideologische Richtung.
1961/62 wurden die als Genreserven zur Reihnzucht bestimmten Gidran-, Nonius-, Kisberi- und Furioso-North-Star-Bestände in andere Betriebe umquartiert. In Mezöhegyes verblieb ein gemischter Stutenbestand, mit dem man eine Umzüchtung in Richtung auf ein vielseitig verwendbares warmblütiges Sportpferd begann. Am Anfang verwendete man Hannoveraner-Hengste, meist des alten Wirtschaftstyps. Da die Ergebnisse nicht befriedigten, importierte man im Winter 1963/64 den Holsteiner Ramzes-AA-Sohn Ramzes Junior und setzte später die Zucht mit weiteren Holsteiner-Hengsten und sehr guten Erfolgen fort.

Mit der Öffnung des "Eisernen Vorhangs" 1989 setzte eine umfangreiche Privatisierung von Gestüten ein. Es entstanden private Zuchten und Zuchtverbände, die sich seither um den Erhalt der verschiedenen Traditionsrassen und um den Aufbau einer sportgeeigneten Reitpferdezucht bemühen.

 

(Stand 1999)

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